Lesezeit in etwa: 10 gut investierte Minuten
Am Burpee kommt kaum ein Fitness Fan vorbei, er gilt als Klassiker im OBC-Übungskanon und absolutes "must do" in Fitnesskreisen rund um den Globus. Aber wo steht die Wiege des altgedienten Fitmachers?
Geliebt, gefürchtet, manchmal auch verflucht: der Burpee, Basisübung vieler Bootcamp-Zirkel. Die Kombination aus Liegestütz und Strecksprung ist ein Paradebeispiel für ganzheitliches Körpertraining. Nach nur wenigen Wiederholungen treibt er jedem Bootcamper den Schweiß auf die Stirn und sorgt für kollektive Schnappatmung im Kurs.
Private "Paula" hat wieder einen Bock geschossen
Meine ersten Burpees habe ich unbewusst auf der Kinoleinwand gesehen: Im Antikriegsstreifen "Full Metal Jacket" von Stanley Kubrick. Auf Parris Island in South Carolina muss ein ganzer Rekrutenzug der US-Marines unter strengen Blicken von Gunnery Sergeant Hartman Straf-Burpees exerzieren, weil Private "Paula" mal wieder einen Bock geschossen hat. 1987 wusste ich allerdings noch nicht, dass die dynamische Bewegungsabfolge der Rekruten Burpee genannt wird.
Viele OBC-Trainer outen sich als Burpee-Fans
Eins ist klar: Kleine Bäuerchen, die nach dem Genuss kohlesäurehaltiger Getränke entstehen (engl. "to burp"), haben mit der Namensgebung nichts zu tun. Wer Burpees mit "Rülpsis" zu übersetzen versucht, liegt komplett falsch. Zur Erklärung ist ein Satz in die 1930er Jahre nötig.
Junge GIs müssen gegen "Japs" und "Krauts" in den Kampf ziehen
Der Zweite Weltkrieg tobt längst nicht mehr nur in Europa, sondern hat seit dem Überfall japanischer Bomberstaffeln auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 globale Züge angenommen. Die Kriegserklärungen aus Berlin und Rom lassen nicht lange auf sich warten – die Vereinigten Staaten befinden sich schlagartig in einem Zweifrontenkrieg mit den Achsenmächten. US-Präsident Roosevelt hatte Amerikas Familien in seinen Wahlreden das vage Versprechen gegeben, ihre Söhne nicht in "fremde" Kriege zu schicken. Dieses Wahlversprechen ist nun hinfällig: Junge GIs müssen gegen "Japs" und "Krauts" in den Kampf ziehen.
Die hohen Opferzahlen auf der hawaiianischen Insel Oʻahu lassen die Stimmen der Isolationisten und Pazifisten im Land schnell verstummen. Über 2400 Amerikaner sterben bei dem als hinterhältig empfundenen Angriff Japans. Das sorgt für Rachegelüste – der Ansturm Freiwilliger auf die Rekrutierungsstellen der US-Streitkräfte ist enorm.
Die U.S. Army schlägt schon vor Pearl Harbor Alarm, spricht von einer amerikanischen Softie-Generation, Schwächlingen, die nicht das nötige Stehvermögen für den Dienst an der Waffe in einem Weltkriegsszenario mitbrächten – ihre Väter seien weit besser trainiert gewesen. Das Maschinenzeitalter und der lockere Lebensstil in den Staaten hätten zu einer Verweichlichung der Jugend geführt, argumentieren Army-Vertreter. Und diese Milchbubis sollen nun die "Festung Europa" stürmen und im Nahkampf gegen "kruppstahlgehärtete, zähledrige und flinke Windhunde" aus Hitlers Reich bestehen?
Eine Studie der University of Illinois aus dem Jahr 1940 belegt das Dilemma. 1000 College-Studenten mussten sich einem Sporttest unterziehen – das Ergebnis stimmt nachdenklich: 24% der jungen Männer scheiterten bei dem Versuch, eine hüfthohe Hürde zu überspringen, 13% konnten nicht einen Schwimmzug absolvieren, 36% schafften im Wasser keine 50 Yards, 25% bekamen keine fünf Klimmzüge auf die Kette und 3% waren an der Reckstange schon mit einem "chin-up" überfordert. Etwas dürftig, um Nazi-Deutschland und fanatisch kämpfende Japaner auf Pazifikinseln in die Knie zu zwingen.
Die Streitkräfte reagieren schnell: Um die Wehrfähigkeit der Truppe sicherzustellen, entwickelt die Army ein "toughening-up program", das die US-Boys doppelt so schnell wie sonst auf den Ernstfall und das Kriegsgeschäft vorbereiten soll. Eine Troika renommierter Hochschulrektoren aus dem Fachbereich Sport arbeitet das Gros der Trainingsinhalte in den Tagen vor Pearl Harbor aus. Dabei überholen sie die althergebrachten Ausbildungspläne und Sporttests der Army gründlich. Die Lehrkräfte setzen auf moderne Fitnessprogramme und vereinfachen Bewegungsabläufe komplexer Übungen zugunsten der Effektivität. Frischer Wind für den Kasernen-Drill.
Das Rektoren-Trio stellt zwölf Basis-Übungen zusammen, für deren Ausführung 20 Minuten veranschlagt werden. Ein kompaktes Fitness-Paket, das die Wende bringen soll. Amerikas neue "Wunderwaffe" im Kampf gegen die Hühnerbrust. Der sportliche Leitfaden "The Army's Daily Dozen" wird zur Bibel – ein Übungskanon, den der gemeine Rekrut täglich abarbeiten muss. So will das Kriegsministerium aus Softies salonfähige Soldaten formen.
Zum täglichen Dutzend gehören: The High Jumper, Squat Bender, Rowing Exercise, Sit-Ups, Push-Ups, The Bank Twist, The Burpee, Side Bender, Eight Count Push-Ups, Squat Jump, Stationary Run und Trunk Twister. Die Macher der "12" wählen kurze und anschauliche Bezeichnungen für die Manöver aus, damit sich die Rekruten das "Dutzend" leicht merken können. Festgelegte Zählimpulse sorgen für rhythmische Bewegungsabläufe, so dass ganze Züge im Gleichschritt trainieren können.
Das Abhärtungsprogramm der Army hat noch mehr Innovationen zu bieten: Nahkampftraining und Guerilla-Taktiken bauen die Experten ebenso mit ein, wie Rauf- und Tobspiele. Die etwa 60 "rough-and-tumble games" sollen den Kampfgeist der Truppe wecken. Märsche mit kompletter Feldausrüstung, aber auch Teamsportarten wie Baseball komplettieren das "hardening program". Ihre Ergebnisse bringen die Autoren in der Dienstvorschrift "Training Circular 87" zu Papier.
Der Leitfaden T.C. 87 schreibt vor, die körperliche Leistungsfähigkeit der GIs künftig im regelmäßigen Turnus zu testen. Die ermittelten Werte in den Bereichen Muskelkraft, Ausdauer, Koordination und Wendigkeit geben Aufschluss über den Trainingsfortschritt der Soldaten. Verweichlichte Uniformträger sollen dauerhaft durch harte Kerle ersetzt werden. Nach einer Erprobungsphase wird das neue Sportprogramm schrittweise im gesamten Ausbildungsapparat der Army verankert. Das fordert auch die Offiziere heraus: Auf Lehrgängen machen sich die Vorgesetzten mit dem frischen Unterrichtsstoff vertraut. Von ihnen hängt es ab, ob die Abhärtungsoffensive der Army Erfolg hat.
Um die Fitness der GIs periodisch zu prüfen, etablieren die "athletic officers" sieben Standard-Tests und ein Punktesystem – so kann jeder Soldat bei der Leistungskontrolle sehen, wo er im Vergleich mit seinen Kameraden steht. Zu den sieben Standards gehört auch der 20 Sekunden-Burpee-Test, der bereits im "Daily Dozen" vertreten ist und damit zum Dauerbrenner auf amerikanischen Kasernenhöfen avanciert.
Der Burpee aus den 1940er Jahren kommt allerdings etwas entspannter daher, ist noch nicht so komplex wie sein modifizierter Nachfolger heute – damals wird auf Strecksprung und Liegestütz verzichtet. Die Burpee-Version 1.0 besteht aus vier Elementen: Ausgangsstellung ist der aufrechte Stand, Arme liegen seitlich am Körper an / auf "Eins" runter in die Hocke gehen, Hände flach auf dem Boden ablegen, Arme sind zwischen den Knien / auf "Zwei" Sprung in den Liegestütz, Gewicht ruht auf Zehen und Händen / auf "Drei" Sprung zurück in die Hocke / auf "Vier" hoch in den Stand.
Selbst der schlaffeste Rekrut ist in der Lage, im ruhigen Tempo ein paar Burpees abzureißen. Für den Fronteinsatz ist ein Soldat aus Sicht der U.S. Army aber erst dann geeignet, wenn er 40 bis 50 Burpees ohne Pause in einem geschmeidigen Rhythmus auf den Kasernenhof zaubern kann. Die Ausbilder bewerten die Rekruten so: Acht Burpees in 20 Sekunden gelten als "schwach", zehn sind "ordentlich", zwölf sind "gut" und 13 oder mehr Burpees werden als "hervorragend" eingestuft."
Namensgeber und Erfinder der Version 1.0 ist Dr. Royal Huddleston Burpee, ein Physiologe aus New York City. Burpee, ein Fitness-Fanatiker und Verfechter des Schulsports, arbeitet in der Bronx als geschäftsführender Direktor für den YMCA (Young Men's Christian Association). In dem christlichen Verein, der 1978 von der Band "Village People" besungen wird, finden junge Männer auf der Durchreise einen billigen und sicheren Platz zum Schlafen. Die Übernachtungshäuser werden in Amerika seit den 1880er Jahren ausgebaut und mit Turnsälen, Swimming-Pools oder Bowlingbahnen bestückt. So entwickeln sich die YMCA-Hostels zu Orten der Begegnung, an denen die Vereinsmitglieder auch Sport treiben können.
In den 1930er Jahren ist die Sportwissenschaft in den USA vorrangig damit beschäftigt, den Fitnessgrad gut trainierter Menschen zu messen. Royal Burpee, der gerade an der Columbia University im Fachbereich Angewandte Physiologie promoviert, will das ändern und Sporttests für den Otto-Normal-Amerikaner schaffen. Auch mäßig trainierte Landsleute sollen die Chance erhalten, ihre Fitness zu überprüfen. Burpee denkt dabei vor allem an die YMCA-Mitglieder in der Bronx. Für sie entwickelt der Doktorand 1939 eine moderate, noch namenlose Übungseinheit, mit der sich die körperliche Leistungsfähigkeit schnell und unkompliziert bewerten lässt – die Geburtsstunde des Burpee.
Burpees Sporttest ist messintensiv: Der angehende Doktor verlangt von seinen Probanden zwar nur vier Wiederholungen der Version 1.0, misst vor und nach der Ausführung aber bis zu fünfmal die Herzfrequenz. Anhand der Werte berechnet Dr. B. exakt, wie effektiv der Herzmuskel Blut in den Kreislauf pumpt. So lässt sich schwarz auf weiß ablesen, ob jemand schlaff oder taff ist. Sein Manuskript erscheint als Buch unter dem Titel "Seven Quickly Administered Tests of Physical Capacity".
Dass sein Fitnesstest 1942 vom Militär aufgegriffen, für tauglich befunden und in die Rekruten-Ausbildung eingebunden wird, ist überhaupt nicht nach Burpees Geschmack. Er wollte nie, dass seine Übung mit so hoher Intensität ausgeführt wird, wie von den Machern des "toughening-up program" gefordert. Nach Kriegsende setzen Army und Navy noch einen drauf: 1946 wird der bisherige 20 Sekunden-Burpee-Test auf eine volle Minute ausgeweitet – 41 Wiederholungen sind nach Maßstab der Militärs "hervorragend", weniger als 27 "reps" erhalten das Prädikat "armselig". Dr. Burpee schüttelt nur den Kopf, diese extremen Umfänge sind nicht im Sinne des Erfinders.
Besorgt schreibt er 1946 das Vorwort seines Buches um: Burpee klagt, dass der Army-Ableger zu hart ist und sich nur für Personen eignet, die ohnehin auf hohem Level Sport treiben. Ein Durchschnitts-GI kann da nicht mithalten und gefährdet sogar seine Gesundheit. Das maßlose Exerzieren der Übung schädigt nach Burpees Meinung Rücken und Knie der Soldaten. Das totale Gegenteil von dem, was Burpee mit seinem moderaten "Fitnesstest für jedermann" in den YMCAs erreichen wollte.
Der Burpee ist in jedem Fall eine sehr intensive und komplexe Übung, deswegen hat Original Bootcamp in einem Video einmal die perfekte Burpee-Technik erklärt:
Dr. Burpee stirbt 1987 mit der Gewissheit, dass seine Übungsreihe noch Generationen von Trainingsjunkies begleiten wird – auch wenn die heutige High Intensity-Variante nichts mit der sanften Blutdruckmessung von 1939 gemein hat. Ein wenig stolz wäre der Physio-Doc aus der Bronx womöglich doch, dass sein gepimpter Klassiker in Fitnesszirkeln weltweit zur Standardausstattung gehört. Auch in deutschen Parks haben viele OBC-Coaches Dr. Burpees Vermächtnis auf dem Zettel.
Eine Meldung blieb Royal H. Burpee erspart: Am 4. Februar 1994 stellte der Brite Paddy Doyle einen Guinness-Weltrekord für die meisten abgeleisteten Burpees innerhalb einer Stunde auf – Doyle schaffte 1840 Wiederholungen! R.I.P., Dr. Burpee.
Wir bieten Personal Training in Kleingruppen an - outdoor sowie online. Dabei pushen dich unsere zertifizierten Trainerherzen mit viel Motivation, Spaß und einer Extra Portion Leidenschaft aus deiner Komfortzone. So erreichen wir maximale Effektivität für deinen Körper.
Du hast Lust unser Training live und in Farbe kennenzulernen? Dann vereinbare direkt ein kostenloses und unverbindliches Probetraining in deiner Stadt. Wir freuen uns auf dich!